Der Pazifist Jg. XVII, Nr. 190 - 22. Januar 2004

Guardian: WILL PAPST JOHANNES PAUL II DIE UNO ABSCHAFFEN?

Mit bemerkenswert klaren Worten hat Papst Johannes Paul II am 1. Januar, dem Weltfriedenstag der römisch-katholischen Kirche, eine neue internationale Ordnung gefordert, welche die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene ersetzen solle. Weil er gleichzeitig die Ohnmacht der gegenwärtigen internationalen Institutionen angesichts des Einsatzes bewaffneter Gewalt der USA im Irak kritisierte mutmaßten Beobachter, der Papst würde auch für eine Abschaffung der UNO plädieren.

Für den englischen „Guardian“, eine der wenigen Zeitungen, die über die vom Papst im Petersdom gehaltene Predigt berichteten (2.1.04), schrieb John Hooper, der Papst habe von der UNO gesprochen als gehöre sie schon der Vergangenheit an.

Bereits im Dezember 2003 war ein Papier des Papstes zum bevorstehenden Weltfriedenstag erschienen, in dem er auf den Zusammenhang zwischen Frieden und Völkerrecht hinwies und, ohne die USA namentlich zu erwähnen, behauptete, demokratische Regierungen wären sich sehr wohl darüber im klaren, „daß der Einsatz von Gewalt gegen Terroristen einen Verzicht auf die Prinzipien der Rechtsherrschaft nicht rechtfertigen darf“. Gegenwärtiges Völkerrecht sei nicht geeignet, auf Terrorismus zu reagieren, deshalb seien neue Verträge und eine Reform der UNO notwendig.

Der Appell des Papstes in seiner Predigt am 1. Januar 2004 ging aber viel weiter. Eine neue Weltordnung müsse in der Lage sein, Antworten auf die drückenden Probleme der Gegenwart zu finden. Sie müsse auf Menschenwürde, einer integrierten Entwicklung der Gesellschaft, der Solidarität zwischen reichen und armen Ländern und gerechter Verteilung von Ressourcen und den Früchten des Fortschritts gründen. Das in den späten vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstandene internationale System einschließlich der Organisationen der UNO, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank habe zu wenige dieser Ziele erreicht.

Der ausschlaggebende Punkt sei aus Sicht des Vatikans jedoch die wachsende Bedeutungslosigkeit eines sorgfältig konstruierten internationalen Rechtssystems, das von der US-Regierung während ihres „Krieges gegen den Terror“ ignoriert wird.

Katholische Kirchenvertreter in England und Wales haben die Stellungnahme des Papstes begrüßt, jedoch bezweifelt, der Papst fordere eine Abschaffung der UNO. Nach Aussage des Pressesekretärs des Erzbischofs von Birmingham sei der Papst im Gegenteil ein starker Befürworter der Vereinten Nationen. Bernd Büscher

Die Erziehung zur Legalität

Aus der Botschaft zum Weltfriedenstag von Papst Joh.Paul II

In den ersten vier Punkten der Botschaft zum Weltfriedenstag weist Johannes Paul II auf die bisherigen Veröffentlichungen zu diesen Themen hin, die im Anhang dokumentiert sind und betont, daß sie insbesondere Fragen der Erziehung zum Frieden gewidmet sind. Diese Aufgabe wird in der diesjährigen Botschaft ausgedehnt auf die Beachtung des Völkerrechts, die auch eine Erziehungsaufgabe darstelle. Diesen Hauptteil dokumentieren wir im folgenden in einer vom Vatikan veröffentlichten Übersetzung.

5. Zu dieser Aufgabe der Erziehung zum Frieden gesellt sich mit besonderer Dringlichkeit die Notwendigkeit, die einzelnen Menschen und die Völker anzuleiten, die internationale Ordnung zu achten und die von den Autoritäten, ihren legitimen Vertretern, übernommenen Verpflichtungen zu beachten. Der Friede und das Völkerrecht sind eng miteinander verbunden: das Recht begünstigt den Frieden.

Seit den Anfängen der Zivilisation waren die sich herausbildenden Gruppierungen unter den Menschen darauf bedacht, untereinander Übereinkommen und Verträge abzuschließen, die den willkürlichen Gebrauch der Gewalt vermeiden und in den mit der Zeit auftretenden Streitigkeiten den Versuch einer friedlichen Lösung ermöglichen sollten. Auf diese Weise entstand allmählich neben den Rechtsordnungen der einzelnen Völker ein weiterer Komplex von Normen, der mit dem Namen ius gentium (Recht der Völker) bezeichnet wurde. Im Laufe der Zeit hat es angesichts der geschichtlichen Ereignisse in den verschiedenen Völkern weitere Verbreitung und Präzisierungen erfahren.

Eine starke Beschleunigung erfuhr dieser Prozeß mit der Entstehung der modernen Staaten. Seit dem 16. Jahrhundert bemühten sich Juristen, Philosophen und Theologen um die Erarbeitung der verschiedenen Abschnitte des Völkerrechts, das sie in den grundlegenden Postulaten des Naturrechts verankerten. Auf diesem Weg nahmen allgemeine Prinzipien, die dem innerstaatlichen Recht vorausgehen und es übertreffen und die der Einheit und der gemeinsamen Berufung der Menschheitsfamilie Rechnung tragen, mit zunehmender Kraft Gestalt an.

Eine zentrale Stellung unter all diesen Prinzipien nimmt mit Sicherheit der Grundsatz »pacta sunt servanda« ein: die mit freiem Willen unterzeichneten Abkommen müssen eingehalten werden. Dies ist der Angelpunkt und die unabdingbare Voraussetzung jeder Beziehung zwischen verantwortlich handelnden Vertragsparteien. Ihre Verletzung kann nur eine Situation der Gesetzlosigkeit und daraus folgender Spannungen und Gegensätze einleiten, die durchaus nachhaltige negative Rückwirkungen haben könnte. Der Hinweis auf diese Grundregel erweist sich vor allem bei jenen Anlässen als angemessen, in denen sich die Versuchung bemerkbar macht, lieber auf das Recht des Stärkeren als auf die Kraft des Rechtes zu setzen.

Einer dieser Anlässe war ohne Zweifel das Drama, das die Menschheit während des Zweiten Weltkrieges durchgemacht hat: ein Abgrund von Gewalt, Zerstörung und Tod, wie man ihn niemals zuvor kennengelernt hatte.

Die Befolgung des Rechtes

6. Dieser Krieg mit seinem Schrecken und schauerlichen Verletzungen der Würde des Menschen, zu denen er Anlaß geboten hat, führte zu einer tiefgreifenden Erneuerung der internationalen Rechtsordnung. Ins Zentrum eines weitgehend aktualisierten norm- gebenden und institutionellen Systems wurden der Schutz und die Sicherung des Friedens gestellt. Um über den Frieden und die Sicherheit auf globaler Ebene zu wachen sowie um das Bemühen der Staaten um die Wahrung und Gewährleistung dieser fundamentalen Güter der Menschheit zu ermutigen, richteten die Regierungen eigens eine Organisation ein – die Organisation der Vereinten Nationen – mit einem mit weitreichenden Handlungsvollmachten ausgestatteten Sicherheitsrat. Als Angelpunkt des Systems wurde das Verbot der Gewaltanwendung aufgestellt. Ein Verbot, das nach dem bekannten Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen nur zwei Ausnahmen vorsieht. Die eine bestätigt das natürliche Recht auf legitime Verteidigung, die nach den vorgesehenen Bedingungen und im Bereich der Vereinten Nationen auszuüben ist: folglich auch innerhalb der traditionellen Grenzen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit.

Die andere Ausnahme besteht im kollektiven Sicherheitssystem, das dem Sicherheitsrat die Zuständigkeit und Verantwortung auf dem Gebiet der Aufrechterhaltung des Friedens mit Entscheidungsvollmacht und weitgehender Ermessensfreiheit zuspricht.

Das mit der Charta der Vereinten Nationen ausgearbeitete System hätte »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges bewahren« sollen, »die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat« . Die Spaltung der internationalen Gemeinschaft in einander feindlich gegenüberstehende Blöcke, der Kalte Krieg auf einem Teil des Erdballs sowie die in anderen Regionen ausgebrochenen gewaltsamen Konflikte haben jedoch in den nachfolgenden Jahrzehnten ein zunehmendes Abrücken von den Prognosen und Erwartungen der unmittelbaren Nachkriegszeit verursacht.

Eine neue internationale Ordnung

7. Dennoch muß man anerkennen, daß die Organisation der Vereinten Nationen trotz der Grenzen und Verzögerungen, die großteils auf Versäumnisse ihrer Mitglieder zurückzuführen sind, durch die Aufbereitung des kulturellen und institutionellen Bodens für den Aufbau des Friedens bedeutend dazu beigetragen hat, die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit der Völker und den Anspruch auf Entwicklung zu fördern.

Die nationalen Regierungen werden eine starke Ermutigung für ihre Tätigkeit aus der Feststellung schöpfen, daß die Ideale der Vereinten Nationen insbesondere durch die konkreten Solidaritäts- und Friedensgesten vieler Menschen, die in Nichtregierungsorganisationen und in Menschenrechtsbewegungen arbeiten, weit verbreitet sind.

Es handelt sich um einen bedeutsamen Ansporn zu einer Reform, die die Organisation der Vereinten Nationen für die Erreichung ihrer noch immer gültigen satzungsgemäßen Ziele funktionsfähig machen soll: »Die Menschheit braucht jedoch heute, angesichts einer neuen und schwierigeren Phase ihrer authentischen Entwicklung, ... einen höheren Grad internationaler Ordnung« . Die Staaten müssen dieses Ziel als eine klare moralische und politische Verpflichtung ansehen, die Klugheit und Entschlossenheit verlangt. Ich erneuere den Wunsch, den ich 1995 ausgesprochen habe: »Es ist notwendig, daß die Organisation der Vereinten Nationen sich immer mehr aus dem kalten Stadium einer administrativen Institution zu dem eines moralischen Zentrums erhebt, in dem sich alle Nationen der Welt zu Hause fühlen und ihr gemeinsames Bewußtsein entfalten, sozusagen eine ,,Familie der Nationen'' zu sein« .

Die unheilvolle Plage des Terrorismus

8. Nur mit Mühe kann das Völkerrecht heute Lösungen für die Konfliktsituationen anbieten, die von der veränderten Gestalt der gegenwärtigen Welt herrühren. Unter den Trägern dieses Konfliktpotentials finden sich oft nicht-staatliche Akteure: Gruppen, die aus dem Zerfall der Staaten hervorgegangen sind, sei es in Verbindung mit Unabhängigkeitsforderungen oder im Zusammenhang mit rücksichtslosen kriminellen Organisationen. Eine Rechtsordnung von Normen, die im Laufe der Jahrhunderte ausgearbeitet wurden, um die Beziehungen zwischen souveränen Staaten zu regeln, tut sich schwer, Konflikten entgegenzutreten, in denen auch Gruppen agieren, die sich nicht nach den herkömmlichen Wesensmerkmalen der Staatlichkeit erfassen lassen. Dies gilt insbesondere im Fall terroristischer Vereinigungen.

Die Plage des Terrorismus ist in diesen Jahren aggressiver geworden und hat abscheuliche Massaker verübt, die den Weg des Dialogs und der Verhandlung immer hindernisreicher machten, da sie besonders im Nahen Osten die Gemüter erbittert und die Probleme verschärft haben.

Um erfolgreich zu sein, kann sich jedoch der Kampf gegen den Terrorismus nicht bloß in Unterdrückungs- und Strafaktionen erschöpfen. Es ist unbedingt erforderlich, daß der – gleichwohl notwendige – Rückgriff auf Gewalt begleitet ist von einer mutigen, nüchternen Analyse der Beweggründe, die den terroristischen Anschlägen zugrunde liegen. Zugleich muß der Einsatz gegen den Terrorismus auch auf der politischen und pädagogischen Ebene seinen Ausdruck finden: einerseits durch Beseitigung der Ursachen von Unrechtssituationen, die häufig Auslöser blutigster Verzweiflungstaten sind; andererseits dadurch, daß man sich für eine Bildung einsetzt, die von der Achtung vor dem menschlichen Leben unter allen Umständen inspiriert ist. Die Einheit des Menschengeschlechtes ist in der Tat stärker als zufällige Entzweiungen, die Menschen und Völker voneinander trennen.

Im notwendigen Kampf gegen den Terrorismus ist das Völkerrecht nun aufgerufen, juridische Prozeduren zu erarbeiten, die mit wirksamen Mechanismen zur Vorbeugung, Kontrolle und Bekämpfung von Verbrechen ausgestattet sind. Die demokratischen Regierungen wissen jedenfalls sehr wohl, daß die Anwendung von Gewalt gegenüber Terroristen den Verzicht auf die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht rechtfertigen kann. Politische Entscheidungen, die ohne Rücksicht auf die Grundrechte des Menschen den Erfolg suchen, wären inakzeptabel: Der Zweck heiligt niemals die Mittel!

Der Beitrag der Kirche

9. »Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden« (Mt 5, 9). Wie könnte dieses Wort, das zum Einsatz im unermeßlich weiten Feld des Friedens auffordert, so starken Widerhall im Herzen des Menschen finden, wenn es nicht einer Sehnsucht und einer Hoffnung entspräche, die unzerstörbar in uns lebendig sind? Und aus welchem anderen Grund sollen die Friedensstifter Söhne Gottes genannt werden, wenn nicht deshalb, weil Gott von Natur aus der Gott des Friedens ist? Eben darum enthält die Heilsbotschaft, deren Verbreitung in der Welt die Kirche dient, Lehrelemente von grundsätzlicher Bedeutung für die Erarbeitung der Prinzipien, die für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern notwendig sind.

Die geschichtlichen Ereignisse lehren uns, daß der Aufbau des Friedens nicht von der Achtung einer sittlichen und rechtlichen Ordnung absehen kann, gemäß dem antiken Sprichwort: »Serva ordinem et ordo servabit te« (Halte die Ordnung ein, und die Ordnung wird dich erhalten). Das internationale Recht muß der Vorherrschaft des Gesetzes des Stärkeren den Boden entziehen. Sein Hauptzweck besteht darin, »die materielle Stärke der Waffen durch die moralische Stärke des Rechtes« zu ersetzen, indem es angemessene Sanktionen gegen die Gesetzesbrecher sowie adäquate Entschädigungen für die Opfer vorsieht. Das muß auch für jene Regierenden gelten, die unter dem inakzeptablen Vorwand, es handle sich um innere Angelegenheiten ihres Staates, die Würde und die Rechte des Menschen ungestraft verletzen.

In meiner Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps am 13. Januar 1997 habe ich das Völkerrecht als ein erstrangiges Instrument für die Schaffung des Friedens anerkannt: »Das internationale Recht war lange Zeit ein Recht des Krieges und des Friedens. Ich glaube, daß es mehr und mehr dazu berufen ist, ausschließlich zu einem Recht des Friedens zu werden, wobei der Friede als Voraussetzung für Gerechtigkeit und Solidarität verstanden werden soll. In diesem Kontext muß die Moral das Recht fruchtbar machen; sie kann sogar dem Recht in dem Maße vorgreifen, wie sie ihm die Richtung dessen, was gerecht und gut ist, aufzeigt« .

Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche durch die philosophische und theologische Reflexion zahlreicher christlicher Denker einen erheblichen Lehrbeitrag zur Ausrichtung des Völkerrechts auf das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie erbracht. Vornehmlich in der Geschichte der Gegenwart haben die Päpste nicht gezögert, die Bedeutung des internationalen Rechtes als Gewähr für den Frieden zu unterstreichen, in der Überzeugung, daß »für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut wird« (Jak 3, 18). Auf diesem Weg engagiert sich die Kirche mit den ihr eigenen Mitteln – im unvergänglich hellen Licht des Evangeliums und mit der unentbehrlichen Hilfe des Gebetes.

Die Zivilisation der Liebe

10. Zum Abschluß dieser Überlegungen halte ich es jedoch für notwendig, daran zu erinnern, daß für die Aufrichtung des wahren Friedens in der Welt die Gerechtigkeit ihre Vervollständigung in der Liebe finden muß. Gewiß ist das Recht der erste Weg, der eingeschlagen werden muß, um zum Frieden zu gelangen. Und die Völker sollen zur Achtung dieses Rechtes erzogen werden. Man wird aber nicht das Ende des Weges erreichen, wenn nicht die Liebe die Gerechtigkeit ergänzt. Gerechtigkeit und Liebe erscheinen manchmal wie gegensätzliche Kräfte. In Wahrheit sind sie nur die zwei Gesichter ein und derselben Wirklichkeit, zwei Dimensionen der menschlichen Existenz, die sich gegenseitig vervollständigen müssen. Die geschichtliche Erfahrung kann dies bestätigen. Sie zeigt, wie es der Gerechtigkeit oft nicht gelingt, sich vom Groll, vom Haß und nicht einmal von der Grausamkeit zu befreien. Die Gerechtigkeit allein genügt nicht. Im Gegenteil, sie kann bis zur Selbstverneinung gehen, wenn sie sich nicht jener tieferen Kraft öffnet, die die Liebe ist.

Deswegen habe ich die Christen und alle Menschen guten Willens immer wieder an die Notwendigkeit der Vergebung erinnert, um die Probleme sowohl der einzelnen wie auch der Völker zu lösen. Es gibt keinen Frieden ohne Versöhnung! Ich wiederhole es auch bei dieser Gelegenheit, wobei ich besonders die Krise vor Augen habe, die in Palästina und im Mittleren Osten weiter um sich greift: Eine Lösung für die sehr ernsten Probleme, unter denen die Bevölkerungen jener Regionen schon allzu lange zu leiden haben, wird man nicht finden, solange man sich nicht entschließt, die Logik der einfachen Gerechtigkeit zu überwinden, um sich auch der Logik der Vergebung zu öffnen.

Der Christ weiß, daß die Liebe der Grund ist, weshalb Gott mit dem Menschen in Beziehung tritt. Und ebenso ist es die Liebe, die Gott sich als Antwort vom Menschen erwartet. Die Liebe ist darum auch die erhabenste und vornehmste Beziehungsform der Menschen untereinander. Die Liebe soll daher jeden Bereich des menschlichen Lebens beseelen und sich desgleichen auf die internationale Ordnung ausdehnen. Nur eine Menschheit, in der die »Zivilisation der Liebe« herrscht, wird sich eines wahren und bleibenden Friedens erfreuen können.

Zu Beginn eines neuen Jahres möchte ich die Frauen und Männer aller Sprachen, Religionen und Kulturen an den antiken Leitspruch erinnern: »Omnia vincit amor« (Die Liebe besiegt alles). Ja, liebe Brüder und Schwestern in jedem Teil der Welt, am Ende wird die Liebe siegen! Ein jeder bemühe sich, diesen Sieg zu beschleunigen. Denn nach ihm sehnt sich im Grunde das Herz aller.

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Die Themen der bisherigen Weltfriedenstage:

1) 1968: 1. Januar: Weltfriedenstag

2) 1969: Menschenrechte, der Weg zum Frieden

3) 1970: Erziehung zum Frieden durch Versöhnung

4) 1971: Jeder Mensch ist mein Bruder

5) 1972: Willst du den Frieden, so arbeite für die Gerechtigkeit

6) 1973: Der Friede ist möglich

7) 1974: Der Friede hängt auch von dir ab!

8) 1975: Versöhnung, der Weg zum Frieden

9) 1976: Die echten Waffen des Friedens

10) 1977: Wenn du den Frieden willst, verteidige das Leben

11) 1978: Nein zur Gewalt – Ja zum Frieden

Die Themen der weiteren 25 Weltfriedenstage lauteten:

1) 1979: Zum Frieden erziehen, um zum Frieden zu gelangen

2) 1980: Die Wahrheit, Stärke des Friedens

3) 1981: Schütze die Freiheit, dann dienst du dem Frieden

4) 1982: Der Friede, Gottes Geschenk, dem Menschen anvertraut

5) 1983: Der Dialog für den Frieden: Eine Forderung an unsere Zeit

6) 1984: Der Friede entspringt einem neuen Herzen

7) 1985: Frieden und Jugend zusammen unterwegs

8) 1986: Der Friede, Wert ohne Grenzen. Nord-Süd, Ost-West: Ein einziger Friede

9) 1987: Entwicklung und Solidarität: Zwei Schlüssel zum Frieden

10) 1988: Religionsfreiheit, Bedingung für friedliches Zusammenleben

11) 1989: Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten

12) 1990: Friede mit Gott, dem Schöpfer, Friede mit der ganzen Schöpfung

13) 1991: Wenn du den Frieden willst, achte das Gewissen jedes Menschen

14) 1992: Die Gläubigen vereint im Aufbau des Friedens

15) 1993: Willst du den Frieden, komm den Armen entgegen

16) 1994: Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheitsfamilie

17) 1995: Die Frau: Erzieherin zum Frieden

18) 1996: Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft

19) 1997: Biete die Vergebung an, empfange den Frieden

20) 1998: Aus der Gerechtigkeit des einzelnen erwächst der Frieden für alle

21) 1999: In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis des wahren Friedens

22) 2000: »Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt«

23) 2001: Dialog zwischen den Kulturen für eine Zivilisation der Liebe und des Friedens

24) 2002: Kein Friede ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Vergebung

25) 2003: »Pacem in terris« : Eine bleibende Aufgabe

Deutsche Pressestimmen zur Papstbotschaft – leider nur zwei:

Logik der Liebe - Friedensbotschaft des Papstes

Von Ingolf Bossenz

Nur eine Menschheit, in der die »Zivilisation der Liebe« herrscht, werde sich eines wahren und bleibenden Friedens erfreuen können. Diese Botschaft verkündete Johannes Paul II. zum gestrigen katholischen Weltfriedenstag. Sie ist nicht neu. Immer wieder kam der polnische Papst in seinem über 25 Jahre währenden Pontifikat auf diese »Zivilisation der Liebe« zurück. Angesichts des von neuen Kriegen, allgegenwärtigem Terror, wachsender Armut und unbesiegtem Hunger geprägten Altjahrs mag dies wie Hohn klingen. Doch hat der alte Mann in Rom nicht Recht, wenn er darauf beharrt, dass es keinen Frieden gibt ohne Versöhnung? Egal, ob es sich um den Nahen Osten handelt – auf den sich der Papst besonders bezog – oder um andere große und (noch) kleine Kriegs- und Krisenherde. Wenn er erklärt, man werde keine Lösung im Interesse der Menschen finden, »solange man sich nicht entschließt, die Logik der einfachen Gerechtigkeit zu überwinden, um sich auch der Logik der Vergebung zu öffnen«? Natürlich, es ging immer um Macht und Markt, um Gebiete und Gewinne. Öl war stets wichtiger als der Ölzweig. Das Verhängnisvolle: Es wird auch künftig so sein. Doch es wäre weit verhängnisvoller, wenn Mahner wie Karol Wojtyla aus Hoffnungslosigkeit schweigen würden. Neues Deutschland (sic) 02.01.04

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Am Neujahrstag wird der Papst im Petersdom einen Gottesdienst zum Weltfriedenstag der katholischen Kirche feiern. Aus diesem Anlass hat er bereits eine Botschaft veröffentlicht, in der er aufruft, die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Der weltweite Terrorismus sollte nicht nur "mit Unterdrückungs- und Strafaktionen" bekämpft werden. Vielmehr gelte es, auch politisch gegen die "Plage des Terrorismus" vorzugehen und deren Ursachen zu beseitigen, betont der Papst in der Botschaft.

Zudem dürfe der Kampf gegen den Terror nicht dazu führen, auf rechtsstaatliche Prinzipien zu verzichten. Der Papst hatte bereits zu Beginn des Jahres gegen den militärischen Alleingang der USA und Großbritanniens gegen den Irak protestiert.

Website der Tagesschau 31.12.03

Bemerkungen zum Völkerstrafrecht

Aus einem Grußwort von Prof.Benjamin B. Ferencz(Auszug aus dem CoEICL-Newsletter, Oktober 2003)

Das Völkerstrafrecht befindet sich derzeit in einer regen Entwicklung. In Arusha, Den Haag, Freetown und dem Kosovo arbeiten internationale Strafrichter im Namen der Völkergemeinschaft und verfolgen Kriegsverbrecher und Völkermörder, die in bewaffneten internationalen oder nationalen Konflikten Straftaten gegen die Völkergemeinschaft als Ganzes begangen haben. Aber auch in nationalen Strafverfahren müssen sich vermeintliche Täter wegen der von Ihnen begangenen Taten rechtfertigen und werden einer gerechten Strafe zugeführt werden. Das Ende der Straflosigkeit ist greifbar und vor allem den Opfern solcher Taten wird ein wenig Gerechtigkeit zuteil.

Die Unterstützung der USA wäre von großem Wert. Aber das ist nicht entscheidend. Ich denke die Gerichtshöfe wie der Gerichtshof für Menschenrechte, der Seegerichtshof und der Europäische Gerichtshof funktionieren ziemlich gut – trotz der anfänglichen Ablehnung bzw. Abwesenheit der USA. Wir sind alle aufgewachsen in der Verehrung von Nationalismus, Souveränität, Militarismus und dem Edelmut, sein Leben für einen bestimmten Grund zu opfern. Ein solches Denken kann nicht innerhalb einer Generation geändert werden. Um die „Ethik des Krieges“ mit der „Ethik des Friedens“ zu ersetzen, bedarf es unter Umständen mehrerer Generationen. Aber ich weiß, dass es zu schaffen ist.

Nichtregierungsorganisationen müssen ihre Bemühungen fortsetzen, um dieser Realität zum Erfolg zu verhelfen. Prof. Dr. Benjamin B. Ferencz war ehem. Chefankläger vor dem Nürnberger Gerichtshof.

WER HAT ANGST VOR MORDECHAI VANUNU? -

DIE ENTLASSUNG DES „ATOMSPIONS“ AUS ACHTZEHNJÄHRIGER HAFT STEHT BEVOR

Der 21. April 2004 ist ein problematisches Datum für die Regierung Israels: an diesem Tag soll der „Atomspion“ Mordechai Vanunu nach achtzehnjähriger Haft entlassen werden. Nach Aussage der Zeitung „Yediot Aharonot“ beschäftigen sich Verteidigungs- und Justizministerium schon seit drei Jahren mit der Frage, wie man mit Vanunu danach umgehen solle. Dieser, so Yehiel Horev, der für Sicherheit in nuklearen Angelegenheiten zuständige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, sei wie „ein Bulle, der Blut geschmeckt hat“. Niemals hätte Vanunu Bedauern für seine Taten gezeigt, sondern sie weiterhin gerechtfertigt. In den langen harten Gefängnisjahren sei sein Zorn auf die israelische Regierung gewachsen. Nach seiner Entlassung würde Vanunu das Land sofort verlassen (er hat tatsächlich angekündigt, zukünftig in den USA Geschichte zu unterrichten) und wieder Geheimnisse über Israels Atomprogramm preisgeben.

Die Sicherheitsbehörden planen deshalb, Vanunu nach der Entlassung mit einem Katalog von Restriktionsmaßnahmen zu belegen, der noch in diesen Monat der Staatsanwaltschaft zur Genehmigung vorgelegt werden soll. Hohe Sicherheitsbeamte geben allerdings zu, daß sie sich auf juristischem Glatteis bewegen und ihre Maßnahmen argwöhnisch vom Hohen Gerichtshof des Landes und von Menschenrechtsorganisationen in der ganzen Welt beobachtet werden. Immerhin habe Vanunu nach 18 Jahren Haft „der Gesellschaft gegenüber seine Schulden bezahlt“.

Nicht sehr wahrscheinlich ist deshalb die weitreichendste Maßnahme, die Sicherheitsbeamte bei ihren ersten Planungen erwogen haben: Vanunu unter „Verwaltungsarrest“ zu stellen, wie es schon mit gefangenen Palästinensern geschehen ist. Es wäre sehr schwer, der Weltöffentlichkeit und dem Gerichtshof klarzumachen, daß jemand, der seine Strafe abgesessen hat, weiterhin in Gefangenschaft bleiben soll. Da die Sichheitskräfte nicht daran glauben, daß die Gefahr, die Vanunu darstellt, jemals vorübergehen wird, würde diese Maßnahme bedeuten, ihn bis zu seinem Tode in Haft zu behalten.

Wahrscheinlicher ist es, daß Vanunu mit dem Verbot belegt wird, das Land zu verlassen. Diese Maßnahme wurde zuletzt gegenüber dem Kopf der Islamischen Bewegung, Scheich Raed Sala, angewandt. Vanunu würde dann der Reisepass vorenthalten, weil er ein staatliches Sicherheitsrisiko darstellt. Er würde entlassen, könnte aber jederzeit wieder verhaftet und angeklagt werden, falls er geheime Informationen preisgeben sollte.

Eine andere Maßnahme, deren Durchführung wahrscheinlich ist, besteht darin, Vanunus Aufenthalt in Israel auf ein bestimmtes Gebiet zu begrenzen. In der Vergangenheit wurde dies schon bei rechtsgerichteten Aktivisten und Figuren der Unterwelt angewandt. So wird es leichter, Vanunu und seine Kontakte zu überwachen.

Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit werden schließlich Zensurmaßnahmen verhängt werden. Den israelischen Medien würde dann beispielsweise verboten, Interviews mit Vanunu zu veröffentlichen, in denen er sensible Informationen mittteilt.

Die grundlegende Frage lautet allerdings: Warum fürchten die israelischen Sicherheitsbehörden Vanunu weiterhin so sehr? Die israelische „Zweideutigkeit“ in nuklearen Fragen ist zu einer absurden Angelegenheit geworden. Offiziell gilt sie als höchstes Staatsgeheimnis, praktisch kann aber weltweit jeder Interessierte nicht nur wissen, über welche nuklearen Ressourcen Israel verfügt, sondern auch, wo sie sich befinden. Auch hat Vanunu schon alles, was er weiß, der Öffentlichkeit mitgeteilt. Die staatliche Besorgnis hat einen anderen Grund - Vanunus Entlassung und seine damit verbundenen Verlautbarungen könnten die Frage der israelischen „Zweideutigkeit“ in Nuklearangelegenheiten wieder aufrühren, die Wiederaufnahme der internationalen Diskussion über Israels Atomprogramm bedeuten und damit - so Yahiel Horev - die Staatssicherheit beeinträchtigen.

Ein wie auch immer herbeigeführtes Aufgeben der israelischen „Zweideutigkeit“ in nuklearen Fragen, der Geheimhaltung des wahren atomaren Potentials des Landes, würde Israel in außenpolitische Schwierigkeiten bringen. Die USA ignorieren alles, was Israel auf diesem Gebiet unternimmt, solange die Position der Zweideutigkeit bestehen bleibt - so eine Vereinbarung zwischen den beiden Ländern, die noch aus der Zeit Golda Meirs stammt. Wegen der Weigerung, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, wird Israel jedoch heute schon Ausrüstungsmaterial, etwa bestimmte Computer, vorenthalten. Auch würden sich die Beziehungen zu den arabischen Nachbarn, insbesondere zu Ägypten, weiter abkühlen, falls Israel seine tatsächliche nukleare Kapazität deklarieren müsste.

Seitdem der Iran angekündigt hat, die Anreicherung von Uran einzustellen und den Sperrvertrag zu unterzeichnen und seitdem Libyen seine nuklearen Pläne aufgegeben hat, steht Israel in dieser Frage mit dem Rücken zur Wand. Das Land erwägt sogar im völligen Gegensatz zu seiner bisherigen Politik die Vereinbarung gegen die Verbreitung chemischer Waffen zu unterzeichnen, nur um nicht dem Atomwaffensperrvertrag beitreten zu müssen. Vor diesem Hintergrund plagt den Sicherheitsbamten Yehiel Horev ein Albtraum: Mordechai Vanunu tritt gleich nach seiner Entlassung vor die Fernsehkameras und gibt sein erstes Interview.(Quelle:Yediot Aharanot v. 8. Jan. 2004, Bericht v.Bernd Büscher)

Israel: Hunderte demonstrieren auf dem Hügel, von dem aus man das Militärgefängnis 6 überblicken kann

Das Besteigen des Berges gegenüber dem Militärgefängnis 6 in Atlit, von dem aus Protestierende vom Innern des Gefängnisses aus gesehen (und gehört) werden können, ist eine Tradition, die auf die Zeit des Libanon-Kriegs zurückgeht, eine Zeit, bevor viele der heutigen Verweigerer geboren waren. doch der Urteilsspruch der letzten Woche, der fünf junge Leute dazu verurteilte, ein ganzes Jahr hinter diesen grauen Gefängnismauern zu verbringen, verlieh dem heutigen Protest ein Gefühl besonderer Dringlichkeit, und eine ganze Menge Leute waren gekommen, die zuvor noch nie auf dem Berg gesehen worden waren. Dem Aufruf von Yesh Gvul und Refusnik Parents’ Forum (Forum der Eltern der Verweigerer) folgten auch wir von Gush Shalom und Courage to Refuse (Mut zur Verweigerung) und Ta’ayush. Alle zusammen, Hunderte von Leuten – darunter auch zwei Knesseth-Abgeordnete – Barake und Makhoul, reisten stundenlang an, um die felsigen Abhänge des Berges zu ersteigen, die durch die Regenfälle der vergangenen Tage rutschig geworden sind.

Unter der Menschenmenge waren Eltern, Großeltern, Geschwister und einige Freundinnen der Gefangenen. Dr.Gadi Elgazi war da, der 1981 zu einem Jahr verurteilt worden und nach einem halben Jahr intensiver Proteste begnadigt worden war. Und eine ganze Anzahl ehemalige Gefangene wegen KDV aus den letzten Jahren. Yoni Ben Artzi war gekommen, der nach eineinhalb Jahren im Gefängnis gerade erst ein paar Tage frei gekommen war, wobei die Militärbehörden offensichtlich dabei waren, ihm den lange verweigerten Status eines KDVer aus Gewissensgründen zuzugestehen. Falls die Armee die Absicht gehabt hatte, durch diese Geste eine Spaltung in den Reihen der Verweigerer hervorzurufen zu einer Zeit, wo die Fünf so grausam behandelt wurden, so hatte sie sich getäuscht – Ben Artzi wurde herzlich begrüßt und beglückwünscht.

Es waren auch ein paar potentielle Gefangene dabei, von denen vielleicht die nächsten Schritte in diesem Kampf abhängen. Viele Unterzeichner des Shministim (Hochschul-Senioren)-Verweigererbriefs waren da. Einige von ihnen, die innerhalb weniger Monate zum Militärdienst eingezogen werden sollten, waren besonders ungehalten und trotzig: „Die Richter wollten uns abschrecken, als sie den Fünfen eine solch hohe Strafe auferlegten. Nun, wir fürchten uns nicht vor dem Gefängnis, das werden sie bald sehen!“ Darauf folgten die bekannten Sprechchöre: „Nein, danke, Herr Scharon, gehen Sie selbst nach Hebron, wir verdammen Ihre Pläne in die Hölle, gehen Sie selbst in die Gefängniszelle!“

„Stop – Apartheid Ahead“ hieß das große Spruchband von Yesh Gvul, und „Courage to Refuse“ (Mut zu Verweigern) hatte geschrieben „Long live the refusers“ (Lang mögen die Verweigerer leben), „We all are refusers“ (Wir sind alle Verweigerer), „Release the refusers – imprison the ministers!“ (Entlaßt die Verweigerer – steckt die Minister ins Gefängnis) Eine große Fahne mit den Farben des Regenbogens flatterte darüber, darauf stand groß das Wort „Pace“ – italienisch für „Frieden“. „Diese Fahnen sah man während des Irakkrieges und danach in ganz Europa, wir sollten hier auch einige davon haben“, sagte der Aktivist, der sie brachte.

Ein aufgeregter Schrei durch das Megaphon: „Schaut nach dem Wachtturm zur Rechten und nach der weißen Bude in der Nähe! Da sind Leute, die winken, vier oder fünf!“ Waren das unsere fünf? Und dann, Winken aus einem anderen Teil des Gefängniskomplexes, den ein früherer Gefangener als Offiziersgelände bezeichnete. Das könnte der Hauptmann der Reserve Dan Tamir gewesen sein, der eingekerkert worden war, weil er sich geweigert hatte, in die Westbank zu gehen. (Außer den berühmten Fünfen sitzen noch sechs Reservisten im Militärgefängnis, für 28 bis 35 Tage).

„Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man da drin ist und eine Demonstration auf diesem Berg hier sieht. Ich weiß, welch wunderbares warmes Gefühl der Unterstützung einem das gibt!“, sagte Yigal Rosenberg, der 2002 mehrere Monate im Gefängnis 6 verbrachte. „Der Militärgerichtshof verurteilte die fünf, die sich geweigert hatten, an der Besatzung und Unterdrückung teilzunehmen, zu einem ganzen Jahr Gefängnis. Soldaten, die unbewaffnete Palästinenser totschossen, bekamen nur eine Strafe auf Bewährung – wenn sie überhaupt verurteilt wurden. Diejenigen, die letzte Woche in Nablus ein fünfjähriges Kind töteten, wurden nicht einmal gerichtlich verfolgt, noch viel weniger bestraft“, sagte Yishai Menuchin von Yesh Gvul.

„Die Armee hofft, daß nach der plötzlichen Auflehnung der Medien diese fünf jungen Leute hinter den Gefängnismauern vergessen werden. Wir werden dafür sorgen, daß sie nicht vergessen werden, wir werden die Kampagne im Land und auf der ganzen Welt weiterführen, wir werden den Militär- und Zivilbehörden keinen Augenblick Ruhe lassen“, sagte Alex Ma’or, der Vater des Gefangenen Adam Ma’or. Er rief auch die Anwesenden dazu auf, den Kampf aufrecht zu erhalten durch regelmäßiges Befragen der neuen Website www.refuz.org.il Quelle: Gush Shalom Übersetzung: Heidi Schimpf

Für Scharons Israel ist Frieden die größte Gefahr

Kommentar von Uri Avnery (10.1.04)

Ein Fuchs, genannt Löwe

Sie können sich wirklich nicht auf diese Araber verlassen. Nehmen Sie einmal diesen Kerl Ghadafi. Jahrzehntelang spielte der den Clown. Die ganze Welt lachte über ihn (außer, als er ein französisches Flugzeug im Tschad zum Absturz brachte und einen Pan-Am-Jet über Lockerbie. Sein Libyen war ein „Schurkenstaat“, ein internationaler Paria. Er arbeitete an Waffen der Massenzerstörung. Die Amerikaner haßten ihn und bombardierten ihn ab und zu, bei einer solchen Gelegenheit töteten sie seine Tochter.

Man konnte sich auf den guten alten Ghadafi verlassen. Er lieferte uns ein Alibi für die Herstellung aller Arten interessanter Waffen. Jeder verstand, daß, wenn man solche Leute um sich herum hat, Israel die Waffen des Jüngsten Gerichts braucht und es nutzlos ist, über den Frieden zu sprechen.

Und dann, auf einmal:

Plötzlich wird Ghadafi der Liebling der Welt. Schaut ihn an, in seinen Beduinenkleidern: Er ist ein seriöser, nüchterner, pragmatischer Staatsmann. Zahlt ein Vermögen an die Familien der Opfer der Flugzeuge, die er zum Absturz gebracht hat. Er lädt die Amerikaner ein, selbst zu sehen, wie er seinen Vorrat an Massenvernichtungswaffen zerstört. Er schmeichelt Präsident Bush. Macht Schritte auf Israel zu. Morgen – Gott möge es verzeihen! – lädt er vielleicht Bush ein, damit er zwischen ihm und seinem lieben Kollegen, Ariel Sharon, vermittelt.

Wenn Bush anfängt, Ghadafi zu schmeicheln, wird er Sharon weniger hätscheln. Er könnte auf die Idee kommen, daß Israel ebenfalls seine Massenvernichtungswaffen abschaffen sollte. Fort mit diesem Gedanken!

Oder, denken wir an den Iran. Nun, das sind nicht wirklich Araber, aber es sind Muslime, und alle Muslime sind gleich, oder etwa nicht? Antisemiten und Israel-Hasser. Die planen, uns zu zerstören.

Man konnte sich früher auf den Iran verlassen. Es gibt immer jemand, der ruft „Tod für Amerika! Tod für Israel!“ Sie versuchen, Atomwaffen herzustellen. Sie geloben, den großen Satan zusammen mit dem kleinen Satan (uns) zu begraben. Es ist wahr, wir haben ihnen einige Waffen verkauft, sehr heimlich, mit dem Segen Amerikas (siehe: Irangate), aber das zählt nicht. Präsident Bush zählte sie sogar zu seiner „Achse des Bösen“. Wir hofften, daß die Amerikaner nach der Besetzung des Irak mit ihnen verhandeln würden. Zwischen Afghanistan und dem Irak sitzt der Iran wie eine Mandel zwischen den Kiefern eines Nußknackers.

Und dann, plötzlich

Plötzlich trieft der Iran vor Honig. Sie danken den Amerikanern für ihre edelmütige Hilfe für die Opfer des großen Erdbebens. sie laden internationale Inspektoren ein, ihre Atomanlagen zu überprüfen.

Und die Amerikaner – wer kann es glauben? – lassen sich verführen. Sie geben versöhnliche Laute von sich. Und es gibt schon einige Leute, die erwarten, daß wir uns wie Libyen und Iran benehmen, unsere Atomanlagen für die Inspektion öffnen. Fort mit diesen Gedanken!

Doch all das ist nichts, verglichen mit Syrien

Wenn es je eine arabische Nation gab, auf die man sich ohne Bedenken verlassen konnte, so waren es die Syrer. Geborene Israel-Hasser. Zäh. Unbeugsam häuften sie chemische und biologische Waffen an. Es ist wahr, sie respektieren die Waffenruhe an der Grenze zu Israel, doch sie benutzen stattdessen die Hisbollah gegen uns. Und sie spielen Gastgeber für das Hauptquartier der militanten palästinensischen Organisationen in Damaskus.

Die Bush-Administration hat Syrien offiziell als Terroristenstaat eingestuft. Syrien gehört zu ihren Zielen. Unsere Freunde im Pentagon, Wolfowitz und die anderen Neo-Zionisten, versprachen uns, daß Syrien der nächste Kandidat für eine amerikanische Invasion sein werde, gleich nach dem Irak. Unsere guten Freunde, die Türken, sollten sich dabei auch beteiligen. Schließlich hatten sie, seit den späten Dreißigerjahren, als die Franzosen (die zu dieser Zeit Syrien unter ihrer Kontrolle hatten), ihnen die syrische Region Alexandretta gaben, ständig Streit mit Syrien. Und dieser Konflikt vertiefte sich weiter als Syrien begann, die kurdische Revolte in der Türkei zu unterstützen, und einen größeren Anteil an dem Wasser des Euphrat verlangte.

Und jetzt, plötzlich

Plötzlich ändert dieser junge Kerl, Bashar, über Nacht seine Einstellung. Plötzlich wird aus al-Assad (dem „Löwen“) ein al-Taleb („Fuchs“). Er sagt, er will Frieden. Will den Amerikanern helfen. Lädt Israel ein, die Verhandlungen zu erneuern. Besucht die Türkei und schmiedet eine Allianz mit ihr gegen die kurdische Unabhängigkeit im Nord-Irak.

Das ist gefährlich. Schrecklich gefährlich. Die Amerikaner könnten ja Druck auf uns ausüben, Frieden mit Syrien zu machen und ihnen die Golanhöhen zurückzugeben. Zwar haben bis jetzt die Amerikaner kühl auf die syrischen Vorschläge reagiert, doch das kann sich ändern. Während die amerikanischen Wahlen näherrücken, und Bush’s Gegner den Irakkrieg immer mehr als ein großes Fiasko darstellen, wird Bush bestrebt sein zu demonstrieren, daß der Krieg tatsächlich ein großer Erfolg war. Wohlgemerkt: Ein neuer Naher Osten ist entstanden (doch leider ohne Shimon Peres). Die Schurkenstaaten: Iran, Syrien und Libyen haben ihre bösen alten Wege verlassen und wärmen sich an der Pax Americana. Alle Waffen der Massenzerstörung in der Region sind abgeschafft worden, außer denjenigen Israels.

Da ist es nicht verwunderlich, daß Sharons Regierung sich in einem Dilemma befindet. Sie tun, was sie können, um diese Lage zu überwinden. Sie veröffentlichen Ghadafis Vorschläge, um ihn in die Lage zu bringen, diese zu dementieren. Sie lehnen Assads Friedenslist ab. „Nicht laufen und springen!“ Sharon ermahnte seine Minister diese Woche, und befahl ihnen, sich darüber nicht aufzuregen. Assad ist nicht ernstzunehmen. Er will nur die Amerikaner für sich einnehmen. Er will uns gebrauchen um Bush zu erreichen. Für ihn ist Israel nur „eine Stufe zum Weissen Haus“, wie Sharon es ausdrückte.

Defaitisten könnten sagen: Laßt uns die Gelegenheit ergreifen. Ist Assad schwach? Hat Assad Angst? Will Assad die Amerikaner besänftigen? Umso besser. Das ist die Gelegenheit, Frieden zu machen. Was haben wir zu verlieren? Wenn es Assad ernst meint, können wir unseren Konflikt mit einem gefährlichen Feind ein Ende setzen. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir ihn bloßstellen.

(Dieselben Defaitisten schlugen 1972 auch vor, wir sollten die Friedensangebote, die uns durch den UN-Abgesandten, Gunnar Jaring von Anwar Sadat zugeschickt wurden, annehmen. Doch Israel hatte damals eine starke Führung, Golda Meir, die das sofort ablehnte. Zwar führte das zum Yom-Kippur-Krieg und zum Tod von etwa 2.000 jungen Israelis, nicht zu vergessen Zehntausenden von Ägyptern und Syrern, es stärkte jedoch sicher die Defaitisten.)

Sharon wird den syrischen Vorschlag nicht annehmen, weil das vielleicht zum Frieden führen könnte. Und Friede mit den Syrern würde bedeuten, die Rückgabe der Golanhöhen und den Abbau aller Siedlungen dort. Das wäre schrecklich. Es wäre auch ein gefährlicher Präzendenzfall für die Palästinenser.

Bashar Assad, der Fuchs im Kleid des Löwen, möchte die Verhandlungen an dem Punkt wiederaufnehmen, wo sie von Ehud Barak abgebrochen wurden. Zu dieser Zeit gelang es Barak, sich vor der Drohung des Friedens gerade noch zur rechten Zeit zu retten, Assad senior wollte nichts weniger annehmen als die Zurückgewinnung der Ufer des Sees Tiberias (am 4.6.67), anstatt 10 m davon entfernt zu bleiben (die Linie von 1949). Barak konnte es nicht vertragen sich vorzustellen, daß Assad seine langen Füße in das Wasser dieses Sees tauchen könnte. Jetzt weist Assad junior darauf hin, daß er sich darauf einstellt auf dieses Vergnügen zu verzichen. Er kann seine langen Füße irgendwo anders eintauchen. Vielleicht im Wasser des Euphrat.

Sharon wird den Fehler von Barak nicht wiederholen, der sich mit knapper Not herauswinden konnte: Er wird gar keine Verhandlungen beginnen. Und, in der Tat, wenn Assad schwach ist, warum soll man dann mit ihm verhandeln?

Moral der Geschichte 1: Wenn die Araber stark sind, kann man keinen Frieden mit ihnen machen. Man muß sie besiegen. Und wenn die Araber schwach sind, braucht man keinen Frieden mit ihnen zu schließen. Warum sollte man ihnen irgend etwas anbieten?

Moral der Geschichte 2: Wenn die Araber sagen, sie wollen Krieg, muß man ihnen glauben. doch wenn die Araber sagen, sie wollen Frieden, dann ist es klar, daß sie lügen. Und wie kann man mit Lügnern Frieden schließen? Quelle Gush Shalom

Übersetzung: Heidi Schimpf

Kölner Gespräch mit Egon Spiegel und Michael Nagler

Egon Spiegel, inzwischen Professor in Vechta, lernte auf einer USA-Reise Michael Nagler kennen, inzwischen emeritierter Professor für Literatur und Gründer eines Friedens und Konflikt-Studienprogramms an der kalifornischen Universität Berkeley. Und jetzt war Michael Nagler in Deutschland zu Besuch, lehrte eine Woche lang in Vechta und kam Freitag, 9. Januar, zu einer öffentlichen Veranstaltung ins Domforum Köln, auf Einladung von Versöhnungsbund, Pax Christi und ‚Religionen für den Frieden’ Köln. Die Veranstaltung war vorbereitet worden von Josef und Mechthild Geue. Trotz stürmischem Sturzregen war der große Saal des Domforums gerammelt voll.

Was hatte Nagler zu berichten? Wer die einschlägige Literatur kennt, erfuhr nichts entscheidend Neues, doch manches schien längst verschüttet. Nach Nagler bedeutet Gewaltlosigkeit sowohl Spiritualität als auch Courage, doch eben auch Wissenschaft, oder besser sie benötigt wissenschaftliche Fundierung. Deswegen bildet er seit vielen Jahren in Berkely jährlich rund 100 Studenten in Friedens- und Konfliktforschung aus. Dabei ist Nagler sicherlich kein Theoretiker, sondern jemand, der Praxis und Theorie, Spiritualität und Aktion zu verbinden sucht.

Zunächst räumte er in Köln Mißverständnisse zur Gewaltlosigkeit aus: Sie gilt nicht nur für nette Leute und bedarf auch des Mutes. Sie gilt auch nicht nur, wenn der Gegner nett ist. Selbst in Gandhis Indien fand er im Norden des Landes einen harten britischen Gegner. Vom Staat kann man keine Gewaltfreiheit erwarten. Nagler hob hervor, daß im Islam durchaus auch Platz für Gewaltlosigkeit ist und in islamischen Länderrn immer wieder gewaltlose Bewegungen entstanden waren.

Die Friedensbewegung in den USA ist heute komplett abgeschlossen von den Massenmedien. Viele ihrer Mitglieder leiden ganz massiv unter den derzeitigen Entwicklungen. Der Abend in Köln stand unter dem Titel „Auf den Spuren gewaltfreier Bewegungen in den USA“ – doch diese Spurensuche geriet leider etwas zu kurz, was allerdings für die knappe Zeit nicht anders zu erwarten war.

Wirklich interessant wurde der Abend aber erst bei der anschließenden Aussprache durch außerordentliche unterschiedliche und sehr qualifizierte Beiträge. Da war der ältere Inder, der noch aus eigener Anschauung von der Gandhibewegung zu erzählen wußte, der Palästinenser, der Rat suchte für die verfahrene Situation in seiner Heimat. Ein Berufsschullehrer sprach über seine Ängste bei Demonstrationen gegenüber massivem Polizeieinsatz. „Heute könnte er bei kaltem Winterwetter sich nicht mehr vor Wasserwerfer setzen.“ Der Polizist, „von seinem Beruf her latend gewaltbereit, vom Herzen her aber in der Friedensbewegung“ berichtete von „der anderen Seite“ – und fragte, wie er diese beiden außerordentlich unterschiedlichen Seiten seines Lebens in Einklang bringen könne? Früher hätte es noch „Polizisten für den Frieden“ gegeben, aber das sei auch vorbei. Er fand übrigens an diesem Abend leider keine Antwort.

Natürlich waren die zwei Stunden für eine solche Fülle ganz und gar nicht ausreichend. Der volle Saal mit mindestens 80 Zuhörern bewies jedoch, daß solch ein Themenkreis ein Jahr nach der großen Friedensbewegung gegen den Golfkrieg immer noch vielen unter den Nägeln brennt und viel zu selten Gelegenheit besteht auf hohem Niveau sich auszutauschen und gemeinsam Antworten zu finden auf die Probleme des Friedens. Deshalb mögen die Veranstalter und andere ermutigt sein, solche Gespräche in gewissen Abständen immer wieder zu suchen. Vielleicht ist die Zeit reif, miteinander im Gespräch zu bleiben oder überhaupt erst zu kommen und so gemeinsam Antworten zu suchen auf Fragen, die bisher noch allzusehr den Einzelnen beschäftigen.

Die Probe aufs Exempel

1949 berichtete Heinz Kraschutzki, einer der Pazifisten der ersten Stunde, im „Friedensboten“ der IdK (Internationale der Kriegsgegner) folgende Geschichte aus der Nazizeit:

Im Januar 1941 befand ich mich in einem faschistischen Gefangenenlager auf der kleinen Insel Formentera (Balearen). Drei Gefangene waren entwichen, aber wieder eingefangen , und als sie ins Lager gebracht wurden, mußten wir alle antreten und uns das ansehen, wie sie in die Strafzelle gebracht wurden. Dann hieß es: „Wegtrefen, in den nördlichen Teil des Lagers!“

Ich hatte nicht richtig zugehört und ging mit zwei Freunden in den westlichen Teil des Lagers. Als wir an einer Baracke entlang gingen, hörten wir plötzlich aus dem Inneren ein entsetzliches Gebrüll. Ich blieb erschreckt stehen. Einer meiner Freunde sagte: „Hier drin ist ja die Strafzelle! Jetzt werden die drei mit dem Gummiknüppel bearbeitet.“

Gleich darauf öffnete sich die Tür und heraus stürzten drei Beamte, zwei davon mit Gummiknüppeln, der dritte ohne. Einer begann auf den einen meiner Begleiter einzuprügeln, der nach vorne weglief, der andere prügelte auf den zweiten ein, der nach hinten zu entkommen suchte. Ich war stehen geblieben, aber als der dritte Beamte das sah, rief er: der da will nicht laufen! Mal sehen!“ und machte seinen Revolver fertig. Jetzt mußte ich laufen, nach der einzigen Seite, die noch frei war, nach unten zu. Zweimal schoß er hinter mir her, traf mich aber nicht.

Inzwischen hatte der eine der Beamten seinen Mann schon um die Ecke herum geprügelt und kam jetzt hinter mir her, mit erhobenem Gummiknüppel. Er war ein junger, kräftiger Mann, ich war 50 und durch Hunger sehr geschwächt, so kam er mir rasch näher. Außerdem, vor mir lag der Stacheldraht und das Meer, ich hatte also keine Aussicht, zu entkommen.

Widerstand wäre sinnlos gewesen. Er war jung und bewaffnet, ich war alt und unbewaffnet. Merkwürdigerweise war ich nicht aufgeregt trotz der beiden Schüsse, sondern sagte mir, daß es jetzt gelte, klaren Kopf zu behalten. Hier konnte nur eines noch helfen: Gandhi! Würde es mir gelingen, moralisch stärker zu sein als er, der physisch so viel stärker war?

Ich blieb stehen, erwartete ihn mit gesenkten Armen und ruhigem freundlichen Gesicht. sofort war er bei mir, aber er ließ den Gummiknüppel sinken. „Hier können sie nicht weiter!“ brüllte er. „Nein, das sehe ich“, erwiderte ich in ruhigem Ton und freundlich lächelnd. „Sagen Sie mir, wo ich gehen soll, dann werde ich es tun.“ – „Da oben müssen wir durch,“ sagte er.

„Wir“ hatte er gesagt! Und friedlich gingen wir nebeneinander den Weg, den er angegeben hatte.

Gandhi hatte geholfen. Gandhi, das ist Gewaltlosigkeit ohne Furcht! Hätte ich Furcht gezeigt, etwa einen Arm schützend vor den Kopf gehalten und gebettelt „Schlagen Sie mich nicht!“ – dann hätte er seinen Gummiknüppel bestimmt an mir ausprobiert. Aber einen Menschen, der wehrlos und mit freundlichem Lächeln dasteht, ins Gesicht zu schlagen – das brachte er nicht fertig, das bringen nur wenige fertig. (September 1949)